Norwegen zwischen Skitour, Kabeljau und Nordlicht
Nachdem wir vor drei Jahren eine fabelhafte Skitourenwoche in den Lyngen Alpen verbracht hatten, zog es uns wieder nach Norwegen. Dieses Mal ein Stück weiter südwestlich auf das Lofoten Archipel. Das aus dem Nordmeer abrupt aufragende Gebirge der Lofoten bietet dem Alpinisten ungewohnte, einzigartig schöne Landschaftsbilder in abwechslungsreichem Skigelände, zudem gibt es abseits der Berge einiges zu entdecken.
Sommerurlaubern wohl bekannt, sind die Lofoten im Winter Anziehungspunkt für Skibergsteiger und Touristen, die das nächtliche Farbenspiel der Nordlichter suchen sowie Sportangler, die auf den Winterkabeljau aus sind.
Die Lofoten sind ein spektakuläres Stück Geografie. Diese Aneinanderreihung von Inseln ragt wie ein Ast rund 190 km in die Norwegische See hinein und bildet einen Riegel, der den Wetterkapriolen des Europäischen Nordmeers heillos ausgesetzt ist. Von Süden über den Vestfjord hinweg betrachtet, scheinen die aus dem Meer unvermittelt emporragenden Gipfel der Lofoten einen durchgehenden Gebirgszug zu bilden. Diese ‚Lofotwand‘ genannten Berge stehen aber auf fünf großen und zahlreichen kleineren Inseln, getrennt und durchzogen von Fjorden, Sunden und Strömen, vom Menschen verbunden durch Brücken und Tunnel. Als ob das Wasser rund um die Bergkette aufgestaut wäre, ragen die Lofoten ohne Vorankündigung eintausend Meter hoch aus dem Nordmeer. Mich erinnert dieser scharfe Kontrast zwischen der Ebene des Meeres und den jäh aufragenden steilen Bergflanken an die Teton Gebirgskette in den Rocky Mountains, die ebenso plötzlich aus der platten Prärie aufschießt.
Sie heißen Pilan, Vagan, Stortinden, Viktinden und Rundfjellet, allesamt Berggipfel, die kaum 900 Meter hoch sind und uns dennoch stellenweise ein hochalpines Erlebnis bieten. Zum Viktinden und Rundfjellet hinauf, gehen wir die letzten Höhenmeter zu Fuß, Ski am Rucksack. "Endlich Steigeisen! Wo geht's hier höher?" witzelt Nico. Wie immer zieht es ihn auf den höchsten Gipfel vor Ort. Der 1147 m hohe Higravstinden aber ist per Ski nicht zu bewältigen und für den höchsten Skiberg, den benachbarten 1.085 m hohen Geitgaljen passen die Verhältnisse nicht. Wie in den Lyngen Alpen ist Skibergsteigen auf den Lofoten weniger eine Sache von Höchstleistungen, vielmehr eine Angelegenheit für Landschaftsästheten, die sich nicht an Höhenmetern, sondern am einzigartigen Zusammenspiel von Bergen, Meer und Licht berauschen.
Auf dem Sattel zwischen Stortinden und Vagan vespern wir unsere Brote und blicken hinaus auf das schwarzblaue Nordmeer, wie flüssiges Metall liegt es da. Eine Schlechtwetterfront zieht auf, die Wolken drücken hinab aufs Meer, ab und an bohrt die Sonne einen vertikalen Lichtschacht durch die Wolkendecke, der einen gleißend hellen Lichtfleck auf die Wasseroberfläche strahlt.
Südlich zwischen Lofoten und Festland erstreckt sich der Vestfjord. Er ist im Grunde kein Fjord, eher ein launisches Stück Meer, ein großes kaltes Schwimmbad, weltgrößter Laichplatz des Kabeljaus und unzweifelhaft auch einer der größten Schiffsfriedhöfe Norwegens. Unberechenbares Wetter, zahlreiche Untiefen und der vor dem südwestlichen Zipfel des Lofot wirbelnde, berüchtigte Mahlstrom Moskenstraumen, der weltweit stärkste Gezeitenstrom, begründen den legendären Ruf dieser See.
„Jürgen, mehr Arlberg bitte!“ ruft mir Carsten nach. Wir fahren im Whiteout vom Gipfel des Varden ab. Der dichte Nebel hat sich etwas gelichtet, dafür ist der eben noch gut fahrbare schwere Pulver zu so etwas wie Bruchharsch geworden. Trotzdem fordert Carsten von mir, platzsparende Schwünge in den Schnee zu setzen, so wie sie an sonnigen Tiefschneetagen am Arlberg zu sehen sind. Ansonsten hatte er keine Probleme.
Lofoten Lektion Nummer eins ist, die Wettervorhersage nicht allzu ernst zu nehmen. Das Wetter auf dem Archipel ist höchst launisch und weit weniger verlässlich vorhersagbar als in den Alpen. So lassen wir uns von einer schlechten Wettervorhersage nicht von einer Tagestour abhalten, schließlich werden wir von ortskundigen Bergführern geleitet und oft genug war das Wetter angenehmer als gedacht. Grobe Anhaltspunkte gibt es dennoch: Bläst der Wind aus Südwest, bringt er wärmere Luftmassen des Golfstroms und damit wahrscheinlich Regen. Kommt das Wetter hingegen aus dem Norden, treffen arktische Luftmassen auf die Lofoten, es wird sehr kalt und hoffentlich fällt auch Schnee. Wir haben auf den Lofoten eine gute Schneebasis angetroffen, mussten aber auch zusehen, wie ein einziger Regentag eine ganze Menge Schnee aufzehren kann.
Ob der Unwägbarkeiten des Wetters, studieren unsere Bergführer allmorgendlich verschiedene Wettermodelle, tauschen untereinander Erfahrungen vom Vortag aus und kombinierten das Ganze zu einer Empfehlung für die bevorstehende Tagestour.
Die Bergführer – Northern Alpine Guides
Der US-Amerikaner Seth Hobby lebt schon über zehn Jahre auf den Lofoten. Im US-Bundesstaat Washington nahe Seattle aufgewachsen, war er zuvor lange Jahre in Alaska tätig. Dort mischte er schon als neuzehnjähriger Bergführer bei Expeditionen auf den Denali (alias Mount McKinley) mit. Seine norwegische Frau Maren hatte er in Thailand kennengelernt. Auf Anraten eines nepalesischen Arztes sollte er im feuchtwarmen Klima seine Erfrierungen auskurieren, die er sich im Himalaja zugezogen hatte. Mit seiner Partnerin hat er in Kabelvag die Firma Northern Alpine Guides aufgebaut, die in saisonalen Spitzenzeiten bis zu zehn IVBV-geprüfte Bergführer unter Vertrag hat – auch zur Klettersaison im Sommer. Nur zu logisch, dass einige seiner Mountain Guides aus den Vereinigten Staaten kommen: Da ist der redefreudige Marcus, der wie gemacht scheint für eine Hauptrolle in einem Warren Miller Film. Chris aus Oregon merkt man an, dass er lange als Ausbilder in den Bergen Alaskas gearbeitet hat, seine Anweisungen am Berg sind schulbuchmäßig. Seth hat aber auch Europäer in seiner Truppe. Da ist der ruhige Finne Sami, der sich rasant den Berg hinunterstürzt, um einen flüchtigen Ski im dichten Nebel einzufangen. Oder Sebastian aus der Schweiz, der uns eine Spur auf den Varden legt, die so präzise ist, wie ein Uhrwerk aus seiner Heimat. Allesamt sind sie professionelle und erfahrene Bergführer, die genau wissen, was sie tun am Berg.
Der Kabeljau – Das Gold der Lofoten
Der Skrei, so wird der geschlechtsreife arktische Kabeljau genannt, findet alljährlich zwischen Februar und April seinen Weg von der Barentssee zurück in das Lofotenbecken zum Laichen. Schon die Wikinger siedelten auf den Lofoten, der sagenhaften Fischschwärme wegen. Jahrhundertelang zog man Tonne um Tonne Dorsch aus dem Meer. Um 1895 zählte man auf den Lofoten um die 30.000 Fischer, die alljährlich mehr als hunderttausend Tonnen Dorsch fingen. Vom Rekordjahr 1947 wird von einem Fang von insgesamt 147.000 Tonnen berichtet. Heute fischt man kaum noch die Hälfte davon.
Die Fische schätzen die richtige Wassertemperatur und den Salzgehalt des Vestfjords. Ein Weibchen alleine legt hier mehrere Millionen Eier. Für die Fischfangindustrie herrscht jetzt im März Hochsaison. Kurz vor Henningsvaer sehen wir dann auch die ersten Holzgestelle, auf denen aufgeklappte, geköpfte Winterkabeljau mit Schwanz nach oben zum Trocknen aufgehängt sind. Die Holzgestelle geben dem getrockneten Fisch ihren Namen: Stockfisch. Das Winterklima auf den Lofoten bietet die ideale Rezeptur für das Lufttrocknen von Kabeljau: Temperaturen um die Null, feuchte Meeresluft, viel Licht, Schneefall oder ein paar Regentropfen schaden nicht. Bei diesem Trocknungsprozess bleiben alle Nährstoffe des Frischfischs erhalten, nur das Wasser wird entzogen. So hat ein Kilo Trockenfisch in etwa den gleichen Nährwert wie fünf Kilo Frischfisch.
Wir fragen uns, warum sich die Möwen nicht über diese schön aufgereihten Fischfilets hermachen. Fischer erklären uns, die Vögel fänden keinen Platz zum landen und kommen mit ihren Schnäbeln nur schwer an den nach unten hängenden Fisch heran. Außerdem gäbe es in der Hochsaison genügend Alternativen direkt aus dem Meer.
Mehr als nur Skitouren – Sightseeing auf den Lofoten
Heute haben wir ob des durchwachsenen Wetters schon am frühen Nachmittag die Skifelle zum Trocknen aufgehängt und sind auf dem Weg nach Henningsvaer. Das pittoreske Fischerörtchen liegt auf Schären exponiert am südwestlichen Zipfel von Austvagoya, kaum eine halbe Stunde Autofahrt von Kabelvag. Im 19. Jahrhundert war Henningsvaer wie auch Kabelvag eine bedeutende Fischereisiedlung. Damals lag die Fischerei in den Händen von Großgrundbesitzern, die das Meer unter sich aufteilten und denen die Fischer in den Dörfern quasi als Leibeigene dienten. Die Feudalgesellschaft ist Vergangenheit, heute ist Svolvaer Hauptstadt der Lofoten und der Fischfangindustrie. In Henningsvaer trifft man aber speziell im Winter immer noch einen geschäftigen Fischereihafen an, denn draußen im Vestfjord kommt es jeden Winter zur größten Ansammlung von Kabeljauschwärmen aller Meere.
An einem (wirklichen) Schlechtwettertag machen wir skifrei und nutzen die Gelegenheit für eine Spritztour zur Nachbarinsel Vestvagoya. Wir wollen wissen, wie die Wikinger lebten, und schauen uns das original nachgebaute Langhaus bei Borge an. Das Museum ist leicht zu finden, denn gleich nebenan steht auf einem Hügel die Borge Kirche, von der Landstraße aus betrachtet, sieht sie aus wie eine Skisprungschanze.
Auf den Lofoten ist kein Wetter zu schlecht, das die Wellenreiter in ihren dicken Neoprenanzügen abhalten könnte, sich ins tosende Nordmeer zu stürzen. Wir fahren weiter nach Unstad, wo wir uns am Strand ob des orkanartigen Windes kaum auf den Beinen halten können. Im Unstad Arctic Surf Cafe erklärt man uns, man würde heute am anderen großen Surfstrand in Haukland mit dem Brett ins Meer gehen. Wir staunen und gönnen uns zum Kaffee eine der vermutlich weltbesten Zimtschnecken.
Wohnen wie ein norwegischer Fischersmann
Unsere Unterkunft, das Nyvagar Rorbuhotell*, (im Winter mit Skiführer, alias Lofoten Ski Lodge), liegt einen Kilometer außerhalb von Kabelvag an einer ruhigen Bucht. Das Hotel gehört zur Classic Norway Hotelkette, die bemüht ist, ihren Häusern einen individuellen, lokalen Charakter zu geben. Hier wohnt man in falunroten Reihenhäuschen, die den traditionellen Unterkünften der Fischerfamilien (gennant "Rorbu") nachempfunden sind. Die zweistöckigen, auf Stelzen direkt am Meer stehenden Häuschen sind sehr gemütlich. Sie bieten im Dachgeschoss zwei Schlafzimmerchen mit je zwei schlichten Einzelbetten, Wohn-/Küchenkombination und Bad im Erdgeschoß. Nach dem Abendessen lässt sich hier gemütlich eine Runde Karten spielen und die aus dem Duty Free mitgebrachten Weinflaschen köpfen. Im Restaurant des Haupthauses ist das freilich nicht erlaubt, dort gilt es die Zähne zusammenzubeißen und gut 10 Euro locker zu machen für die Halbe Bier oder einen Aquavit aus der umfänglichen Kollektion des Hauses.
Frühstück und Abendessen werden als Buffet serviert, für die Mittagsjause am Berg baut man sich beim Frühstück sein eigenes Sandwich. Das Essen war gut, mit ein zwei Ausrutschern, die die Hotelmanagerin Lisa aber mit viel Charme und dem Versprechen auf Besserung weg gelächelt hat. Im Kabeljau-Schlaraffenland hätten wir uns jeden Tag einen frischen Skrei gewünscht, aber, so sagt Lisa, das internationale Publikum fordert Abwechslung. Neben der Lage ist der größte Trumpf des Hotels wohl sein umgängliches, charmantes und aufmerksames Personal.
Man sollte sich Zeit nehmen für einen kurzen Gang durch das pittoreske Örtchen Kabelvag, bevorzugter Wohnort unserer Bergführer. Unweit des Hotels befindet sich auch das Lofotenmuseum, in dem man vor allem etwas über die Geschichte der Fischerei erfährt. Allerdings lassen die kurzen Öffnungszeiten 11-15 Uhr zu wünschen übrig.
Zusammengefasst...
- Beste Zeit: Hauptsaison für Skibergsteiger auf den Lofoten ist März und April, dann herrscht am 68. Breitengrad ausreichend Tageslicht und die Chance auf eine gute Schneebasis ist am größten. In der ersten Märzhälfte geht die Sonne bereits vor 7 Uhr früh auf und erst gegen 17:30 Uhr abends unter, genügend Zeit also für ausgiebige Tagestouren.
- Anreise: Vom Flughafen Harstad-Narvik (Evenes) dauert die rund 170 km lange Autofahrt zur Lofoten Ski Lodge in Kabelvag rund zweieinhalb Stunden. Man beachte die Tempolimits, Strafzettel sind in Norwegen empfindlich teuer, schon bei geringer Übertretung sind leicht 500 Euro fällig. Den Mietwagen brauchen wir täglich, um zu den Ausgangspunkten der Touren zu gelangen, sie liegen zwischen 5 und 45 Fahrminuten entfernt. Auch an skifreien Tagen ist ein Auto nützlich. Es gibt einiges zu sehen auf den Lofoten, zum Beispiel das Fischerörtchen Henningsvaer oder die Strände von Unstad oder Haukland.
- Unser Hotel in Kabelvåg (Zentrum der Skitourengeher): Das Nyvagar Rorbuhotell* firmiert bei Bergführer Seth Hobby im Winter auch unter Lofoten Ski Lodge. Top Lage, Unterkünfte auf Stelzen direkt am Wasser, Sauna, riesige Auswahl an Aquavit, äußert nettes Personal.
- Die besten Unterkünfte in Kabelvåg und die am besten bewerteten Unterkünfte auf den Lofoten im Überblick auf Booking.com*.
- Da war doch noch was. Ach ja die Nordlichter. Die Aurora Borealis wollte sich uns auf den Lofoten nicht zeigen. Nicht so tragisch, schließlich haben wir vor drei Jahren in den Lyngen Alpen eine erstklassige Nordlicht-Vorstellung erlebt. Wir drücken die Daumen!
Auf Ferienhaus-Norwegen.com findet man ein großes Angebot an Ferienunterkünften und Häusern (rund 1.900) sortierbar nach: am Fjord oder Meer, mit Boot, Sauna, WLAN, Kamin und vieles mehr. Einiges auch auf der Inselgruppe Lofoten und Vesteråle.
Lofoten Buchtipps
Insel|Trip Lofoten. Unbedingt ins Gepäck sollte dieser kleine Reiseführer: Wenn man schon den langen Weg in den hohen Norden Europas auf sich nimmt, sollte man über die eigenen Skispitzen hinaus denken. Dieser kompakte Reiseführer (REISE KNOW-HOW) gibt dem Skitourengeher wertvolle Tipps für regen- und nebelverhangene Tage, dann also, wenn er seiner Lieblingsbeschäftigung nicht frönen kann. Der Autor Martin Schmidt versteht es, wichtige Informationen prägnant darzustellen und zeichnet in vielen Exkursen Wissenswertes über Land und Leute. (Amazon).
Literatur: "Das Buch vom Meer" oder Wie zwei Freunde im Schlauchboot ausziehen, um im Nordmeer einen Eishai zu fangen, und dafür ein ganzes Jahr brauchen.
Der Titel deutet zwar nicht eben auf das Element eines Alpinisten hin, aber der Hauptschauplatz dieses Romans ist direkt südlich der Lofoten, das Vestfjord Meeresbecken und die Insel Skrova. Der Autor Morten Stroksnes erzählt sehr unterhaltsam und informativ eine Geschichte zweier alter Freunde, die in einem Schlauchboot einen zwei Tonnen schweren Eishai fangen wollen, jenes Urwesen, das sich in den Tiefen des Nordmeers bewegt und nur selten in die Nähe der Oberfläche findet. Stroksnes erzählt über die Freundschaft, vom Meer als Natur- und Kulturerscheinung, über Quallen und Seegurken, über die Fischerei und Walfänger, über Polarforscher und Kartografen. Auch zur Akklimatisierung für Skitourengeher bestens geeignet! (auf Amazon als Taschenbuch, Hörbuch oder Kindle Version).
Text und Fotos von Jürgen Mahler
Wenn Euch der Bericht gefallen hat, freue ich mich über einen Eintrag im Gästebuch.