Golden ist der Herbst im 'Monument Valley' der Dolomiten
Fotos und Text von Jürgen Mahler
Brenta, Schlern, Rosengarten, Geislerspitzen, Fanes, wer ist die Schönste im Dolomitenland. Wir meinen, der Naturpark Drei Zinnen setzt der ganzen Dolomitenpracht die Krone auf, und das nicht alleine seiner weltberühmten Felstürme wegen. Nein, der gesamte 120 Quadratkilometer große Naturpark Drei Zinnen kann getrost zu den weltweit beeindruckendsten Bergräumen gezählt werden.
Die Berühmtheit der Drei Zinnen hat freilich seine Schattenseiten, denn während der Hauptwandersaison von Juni bis September kann einem der Besucheransturm schon einmal die Freunde an dieser spektakulären Bergwelt vergällen. Wohl dem, der im Spätherbst eine Schönwetterphase abpassen und kurzerhand anreisen kann. Denn dann ist Ruhe eingekehrt in diesen famosen Bergen. Die Massen sind verschwunden, die Hütten zu, viele der Hotels im Sextner Tal sind geschlossen, putzen sich heraus für die bevorstehende Wintersaison. Ende Oktober ist die Erholungszeit für Einheimische im Hochpustertal, unter den wenigen Wandersleuten hört man vornehmlich Südtiroler Dialekt. Noch vor zwei Wochen lag der erste Schnee, jetzt hat sich ein goldener Herbst zurückgemeldet, die klare Luft schärft die einzigartigen Konturen der Dolomiten.
Übernachten ganz nahe bei den Drei Zinnen
Wir stehen auf 2300 Meter Höhe. Die Nacht war kalt, die Standheizung in unserem California hat aber ihren Dienst zuverlässig getan. Nur eine Handvoll weiterer Camper haben auf dem terrassierten Parkplatz bei der Auronzo-Hütte übernachtet. Der Berggasthof hat seinen Saisonbetrieb bereits beendet, aber es gibt eine öffentliche Toilette, die allerdings über Nacht abgesperrt wird. Wir waren am Vorabend die 5 km lange Mautstraße vom Misurinasee hinaufgefahren bis direkt in den Rücken der Drei Zinnen. Der kann zwar auch entzücken, aber was sich an diesem Morgen in alle anderen Himmelsrichtungen auftut, ist schlicht und einfach grandios. Da zeigen sich die Dolomiten in ihrer ganzen Formenvielfalt. Vor uns die ungestümen Zacken der Cadini-Gruppe, dahinter jenseits des Misurinasees türmt sich mächtig der Felsriegel des Sorapiss auf, im Westen der rotglühende Gebirgsstock der Hohen Gaisl, und so weiter und so fort.
Für die Mautstraße sind mittlerweile 30 Euro/Tag fällig, und wenn man über Nacht bleibt, wird beim Verlassen nochmals die gleiche Summe kassiert. Die hohe Mautgebühr scheint die Leute nicht abzuhalten, der große Parkplatz füllt sich auch zu dieser späten Jahreszeit. Wir möchten nicht wissen, wie es hier in den Sommermonaten zugeht.
Wer mehr als einen Tag bei der Auronzo-Hütte verbringt, sollte neben der Umrundung des Paternkofels unbedingt einen Abstecher nach Süden machen. Direkt an der Hütte führt Weg Nr. 117 zum Bonacossa Klettersteig, der mitten durch die bizarre Felsenwelt der Cadini di Misurina Gruppe führt. Da wir keine Klettersteig-Ausrüstung zur Verfügung haben, wandern wir lediglich zum Anfang des Weges, können aber erahnen, wie spektakulär diese Route verläuft. Für uns zu verlockend war der sanfte Bergrücken keine fünfzehn Wanderminuten südlich des Auronzo-Parkplatzes, ein grandioser Rast- und Siestaplatz.
Der Rother Wanderführer »Dolomiten 5« war uns ein guter Begleiter. Der Dolomiten-Kenner Franz Hauleitner hat eine breite Tourenauswahl zusammengestellt. 52 Wanderungen in Sexten - Toblach - Prags und durch das Zauberreich des Naturparks Drei Zinnen. Blick ins Buch auf Amazon*
Dolomiten Reiseführer von Michael Müller. Für die weitere Entdeckung der Dolomiten Region ist der gut recherchierte Führer eine sichere Empfehlung.
Die Königstour – Umrundung Paternkofel und Drei Zinnen
Reine Wanderzeit 5,5 Std. – Höhenunterschied rund 700 Hm – Leichte Wanderroute, keine ausgesetzten Stellen. Wanderung Nr. 33 (inkl. Variante) im Rother Wanderführer 'Dolomiten 5'.
Die Wanderscharen haben wir schnell abgeschüttelt, denn wir rennen nicht gleich über den Paternsattel, um so schnell wie möglich die berühmte Ansicht der Drei Zinnen Nordwände zu erhaschen. Nein, wir bauen Spannung auf und begeben uns nach der Lavaredo-Hütte erst einmal auf die Umrundung des Paternkofels. Diese dreistündige Tour bis zur Dreizinnenhütte, auf der wir kaum einer Menschenseele begegnen, ist aber keineswegs nur ein Vorspiel, nein, sie gehört selbst zum Hauptakt dieses Wandertages. Im Angesicht der Felstürme, Nadeln und Tafelberge wähnen wir uns im Monument Valley der Dolomiten. Wir sollten uns in den nächsten Tagen noch mehrfach an die überwältigenden Felslandschaften der Nationalparks im amerikanischen Westen erinnert fühlen und uns fragen, warum wir eigentlich den für uns so viel näherliegenden Naturpark Drei Zinnen nicht zuerst besuchten.
Wäre die kleine, aber fein gelegene Büllelejochhütte nicht geschlossen, wir würden hier sofort eine Nacht verbringen wollen, so sympathisch erscheint dieser Ort. Wir sollten in zwei Tagen bei der Umrundung des Einserkofels hier noch einmal vorbeikommen. Jetzt aber geht’s vom Büllelejoch hinab Richtung Dreizinnenhütte, entlang der Nordseite des Paternkofels. Klettersteigfans freilich umrunden diesen nicht, sondern durchkraxeln ihn auf dem Schartenweg, einem alten Kriegssteig, auf dem Stellungen des Alpenkrieges zu sehen sind.
Die Dreizinnenhütte ist wohl eine der meist besuchten Hütten in den Alpen und selbst jetzt, wo sie für die Saison schon dichtgemacht hat, tummeln sich etwa zwei Dutzend Wanderer um die Hütte, machen Rast und genießen einen der großartigsten Anblicke der Alpen. Wir zücken ebenfalls unser Schinkenbrot, kauen und schauen hinüber zum jenseits der Verebnung aufragenden Dreizack. Endlich sehen wir, was wir vor Jahren am anderen Ende der Welt in Chile im Nationalpark Torres del Paine nach achtstündiger Wanderung vor lauter Nebel nicht gesehen haben. Hier stehen sie doch! Kaum vier Stunden entfernt von München, nicht die Torres del Paine, sondern die „Torri Dolomiti“.
Für die Rückkehr zum Parkplatz wählen wir nicht den direkten Weg, sondern gehen, insgesamt eine halbe Stunde länger, rechts herum um die drei Nadeln. Damit haben wir Paternkofel und Drei Zinnen umrundet und einer der landschaftlich spektakulärsten Wanderungen der Dolomiten erlebt.
Durch das Herz des Naturparks Drei Zinnen – Rund um den Einserkofel
Reine Wanderzeit 6,0 Std. – Höhenunterschied rund 1130 Hm – Tagesfüllende Tour, Wanderwege ohne Schwierigkeiten. Wanderung Nr. 18 im Rother Wanderführer 'Dolomiten 5'.
Wer sich die kostspielige Mautstraße sparen will, erwandert sich die Drei Zinnen von Fischleintal aus, das von Sexten nach Süden abzweigt. Das ginge auf direktem Wege zur Dreizinnenhütte (Rother Nr. 19) oder in einer Rundtour um den Einserkofel (Rother Tour Nr. 18). Bei dieser Tour wird man im Spätherbst mit ziemlicher Einsamkeit belohnt, nur wenige gehen diese sehr lange Runde an, ohne eine Nacht in Zsigmondy-, Büllelejoch- oder Dreizinnenhütte einzulegen, die um diese Jahreszeit allesamt geschlossen sind. Gerade deswegen aber ist die Tour um diese Jahreszeit eine absolut lohnende Unternehmung, wohlgemerkt bei stabiler Wetterprognose.
Popena-Runde – Kleiner Ausflug in die östliche Cristallogruppe
Reine Wanderzeit 3,0 Std. – Höhenunterschied 515 Hm – Klein aber oho! Aussichtsreiche Tour ins Popena-Hochtal. Kurze Passagen erfordern Schwindelfreiheit. Wanderung Nr. 26 im Rother Wanderführer 'Dolomiten 5'.
Wir sind zurück vom "Drei Zinnen Camping" an der Auronzo-Hütte, ich habe noch Kraft für diese Wanderung, während Edel gemütlich um den bildhübschen Misurinasee spaziert. Hoch oben über dem See verläuft diese kleine Rundtour, die man ob der großartigen Ausblicke gut und gerne zu einer tagesfüllenden Unternehmung ausdehnen könnte.
Nicht umsonst ist diese Wanderung im Führer 'rot' markiert, denn sie hält zwei Passagen bereit, bei denen eine ordentliche Portion Schwindelfreiheit nicht schaden kann. Da wären die Schutthänge jenseits der Sella di Misurina, die anfänglich einen nur sehr schmalen, abschüssigen Pfad bieten. Und, vor allem, die recht spektakuläre Holzkonstruktion, die jenseits der Ruine des Rifugio Popena in eine steile Schuttrinne hineinführt. Anders als im Rother beschrieben, ist nicht eine defekte Leiter die Herausforderung, sondern eine (neue) luftige Freitreppe, die einen bar jeden Geländers nach drei Seiten in die Leere blicken lässt. Nach diesem scheinbar noch nicht vollendeten Konstrukt geht's weiter recht weglos und steil die Schuttrinne hinunter. Danach aber folgt der gemütliche Rückweg mit herrlichem Blick über Misurinasee hinüber zu den allgegenwärtigen Drei Zinnen.
Mit der Bergbahn zur Gratwanderung von Helm zu Hornischegg
Reine Wanderzeit 4,0 Std. – Höhenunterschied ca. 800 Hm – Bequem mit Berg- und Talfahrt gehen wir aussichtsreich eine Etappe des Karnischen Höhenwegs (Rother Wanderungen Nr. 8 und Nr. 9)
Zwischenzeitlich haben wir Campen im Bus und Dosenfutter gegen ein komfortables Zimmer und vorzügliches 5-Gänge Menü im Leitlhof in Innichen eingetauscht. Der Hautport im Hochpustertal ist idealer Ausgangspunkt für weitere Wandertouren.
Ende Oktober ist die Bergbahn auf den Helm noch die einzige, die in Betrieb ist. Wir kaufen nur ein Bergfahrt- Ticket, zurück ins Tal soll gewandert werden. Nachdem der Talabstieg aber eine wenig spannende Angelegenheit war, empfehlen wir, Berg- und Talfahrt zu lösen und von der Bergstation der Helmbahn über den Helmgipfel bis zum Hornischegg und zurück zu wandern.
In einer guten Stunde wandern wir von der Helmbahn Bergstation auf den Gipfel des Helm. Der Rundblick hier am Aus- bzw. Endpunkt des Karnischen Höhenwegs sucht seinesgleichen; auf der einen Seite der Alpenhauptkamm mit den höchsten Bergen Österreichs, Großglockner und Großvenediger; auf der anderen, die ganze Pracht der Sextner Dolomiten. "In den 1960ern habe ich hier oben Wache geschoben", erzählt ein älterer Herr aus Bozen, mit dem ich ins Gespräch komme. "Die Pasta für die Grenzsoldaten wurde mit dem Lastenlift hinauf befördert". Längst sind militärische Grenzkontrollen zum Nachbarn Österreich passé, der Lastenlift abgebaut, das Helmhaus aber immer noch eine Ruine. Lange Jahre gab es ein Gezerre um die ehemalige Schutzhütte der Silianer Alpenvereinssektion. Sie ist mittlerweile in der Hand der Gemeinde Sexten, passiert ist mit ihr aber seit Jahren nichts. Sowohl auf dem Helm, als auch auf dem Hornischegg sind Reste von Befestigungsanlagen aus den Weltkriegen zu sehen. Insgesamt ein sehr kommoder Höhenweg mit spektakulärem Rundumblicken.
Durch lichten Lerchenwald aufs Haunoldköpfl samt Drei-Zinnen-Blick
Reine Wanderzeit 4,5 Std. – Höhenunterschied ca. 700 Hm – Eine ideale Herbstwanderung; über samtig weichen Waldboden, die Brotzeit bietet Blick auf die Drei Zinnen.
Der Blick aus unserem Zimmer im Leitlhof fällt über Innichen hinweg direkt auf den imposanten 'Drachenrücken' des Haunoldmassivs, dort liegt oberhalb der Waldgrenze auf einer Schulter unser Wanderziel, das Haunoldköpfl.
Da der Haunoldlift für die Skisaison fit gemacht wird und geschlossen ist, starten wir unsere Wanderung im Innerfeldtal. Die Schranke ist um diese Jahreszeit geöffnet, wir fahren bis zum letztmöglichen Parkplatz im Tal. Von dort geht's ein kurzes Stück die Forststraße weiter bis rechts der Wanderpfad Nr. 7 zum Haunoldköpfl abzweigt. Der Pfad führt mal flach, mal steil durch den lichten Lerchenwald. Oben angekommen, könnte der Jausenplatz nicht schöner gelegen sein. Auf der einen Seite schauen wir auf die Krone der Dreischusterspitze und natürlich auf den Hauptdarsteller, die Drei Zinnen. Zur anderen Seite schweift der Blick über das Hochpustertal zur Riesenfernergruppe am Alpenhauptkamm.
Über die Hochalm Plätzwiese zu den Strudelköpfen
Reine Wanderzeit 3,0 Std. – Höhenunterschied 330 Hm – Über die 'kleine Seiser Alm' für einen letzten grandiosen Blick auf die Drei Zinnen und andere lokale Größen (Rother Wanderung Nr. 39)
Lange haben wir uns davor gesträubt ins westlich an den Naturpark Drei Zinnen angrenzende Pragser Tal einzufahren. Ist doch der Pragser Wildsee in die "Instagram-Mangel" geraten und hat in Folge große Scharen an Selfie-Touristen angezogen. Selbst im Spätherbst zieht der See noch die Massen an, so zumindest hat es uns eine Chinesin berichtet, mit der wir bei den Drei Zinnen ein Stück gewandert sind. Wir fahren an unserem Abreisetag trotzdem hinein ins Pragser Tal, biegen aber nach wenigen Kilometer nicht rechts ab zum See, sondern nach links Richtung Brückele. Von dort führt eine Mautstraße hinauf zur Plätzwiese, wohl einer der schönsten Hochalmen der Dolomiten.
Wir müssen an der Mautschranke warten, denn der Parkplatz oben an der Plätzwiese ist an diesem späten Sonntagvormittag voll. Der Porschefahrer aus Miesbach stellt sich dumm und versucht einfach durchzufahren. Die wachsame Parkwächterin hält ihn auf, lässt ihn aber nach einigen Erklärungen gegen Bezahlung der Mautgebühr passieren. Frechheit siegt. Wir anständig Wartenden kommen aber auch bald dran, gegen 12 Uhr kommen die Ersten schon wieder heruntergefahren. Während der Sommermonate ist die Mautstraße geschlossen, dann verkehrt ein Pendelbus.
Auf der Plätzwiese angekommen, drängen sich uns Vergleiche mit der großen Seiser Alm auf. Auf der lieblich gewellten Almwiese gibt es eine Gaststätte, ein Hotel, diverse Almbetriebe und Hütten. Die umgebende Bergwelt kann locker mit Lang- und Plattkofel mithalten, ja sie ist noch weit beeindruckender. Angefangen mit dem roten Haupt der Hohen Gaisl, über Cristallo- und Cadini-Gruppe, bis hin zu den Drei Zinnen wird uns hier oben auf einer gemütlichen Wanderung noch einmal alles herrlich präsentiert, was wir in den vergangenen Tagen bereits gesehen haben – nur aus anderen Blickwinkeln.
- Einkehr-Tipp am Anfang oder Ende der Wanderung. Im Berggasthof Plätzwiese wird gut gekocht (Google Maps).